47: geordneter Rückzug
Dass ich unter den hiesigen Arbeitsbedingungen einer Vertragsverlängerung nicht zustimmen würde, stand für mich schon recht früh fest (spätestens vier Wochen nach Dienstantritt). Diese Einstellung sollte sich auch im Laufe des Jahres nicht mehr ändern. Die mir angebotene Vertragsverlängerung habe ich entsprechend dankbar abgelehnt.
Damit war schon früh klar, dass meine Zeit in China befristet ist. Die harte Deadline ist der 31. Oktober 2012, denn dann läuft mein Visum und meine Aufenthaltsgenehmigung aus und ich muss China verlassen haben.
Mit ausreichend Vorlauf hatte ich also meine Übersiedlung nach Deutschland bei den entsprechenden Stellen veranlasst: Wohnung in China gekündigt, meinen Untermietern in Deutschland gekündigt, mich um eine Wiedereingliederungsstelle in Deutschland bemüht, Flug gebucht, Umzugsservice beauftragt, Versicherungen aktiviert und was man halt so machen musste, alles hatte ich erledigt.
Und doch kam es am Ende anders als erwartet. In meinem speziellen Fall musste ich leider meine Luftfracht in China zurücklassen und konnte nur mit meinem Handgepäck ausreisen. Und das kam so: Meinen Rückflug habe ich ca. sechs Wochen vor Termin für den 30. Oktober um Mitternacht gebucht. Unglücklicherweise gab es in dieser Zeit wahnwitzig viel zu tun, denn das Projekt drängte mal wieder und zusätzlich musste noch vieles erledigt sein bevor alle in die landesweite Urlaubswoche zur Golden Week starteten. Anschließend habe ich noch meinen privaten Jahresurlaub mit meinen Freunden unternommen, sodass vor Ausreise noch eine Arbeitswoche blieb, in der die dienstliche Übergabe zu organisieren war.
Leider habe ich in der Hektik eine klitzekleine Kleinigkeit in den Bedingungen zur Luftfracht überlesen bzw. falsch verstanden. Im Kleingedruckten zur Luftfracht war aufgeführt, dass zur Abwicklung der Zollformalitäten mein Reisepass mit Visum und Aufenthaltsgenehmigung für drei Tage benötigt wird. Also habe ich entsprechend geplant: Meine Luftfracht sollte am Freitag abgeholt werden und am nachfolgenden Dienstag wäre ich meiner Luftfracht hinterher geflogen, so der Plan. Am Tag vor der Abholung stellte sich dann heraus, dass nicht drei Tage, sondern drei Arbeitstage gemeint waren, sodass ich zur Ausreise ohne Papiere dagestanden hätte.
Es war nichts zu machen, eine Beschleunigung der Formalitäten ließ sich auch nach ewigen Diskussionen und diversen Telefonaten nicht erreichen. Also blieben am Ende zwei Optionen:
- Mein Gepäck geht auf große Reise und ich bleibe zurück.
- Ich gehe auf große Reise und mein Gepäck bleibt zurück.
Ich habe mich für Variante zwei entschieden, sicher ist sicher.
Schlussendlich hat die Umzugsfirma also meine Kisten ohne meine Dokumente mitgenommen. Ich habe mich dann mit der Umzugsfirma darauf geeinigt, dass ich planmäßig nach Deutschland fliege und anschließend meine Dokumente nach Shanghai zurückschicke, um den Zoll abzuwickeln und die Klamotten ebenfalls nach Deutschland verschicken zu können.
Durch einen Zufall reisten am Tag meiner Ankunft in Deutschland zwei chinesische Kollegen von einer Mitarbeiterschulung geradewegs wieder zurück nach Shanghai. Das war knapp, ich komme um halb fünf abends in der Firma an und die beiden stehen schon im Mantel, um zu gehen. Also drücke ich Herrn Yu mein Zeug in die Hand und wünsche eine gute Heimreise. Vereinbart war, dass er meine Dokumente der Sekretärin übergibt und diese das Zeug an die Umzugsfirma weiterleitet. Die beiden sind am nächsten Tag wieder in Shanghai und es dauert immerhin noch eine Woche bis mein Reisepass bei der Sekretärin ankommt. Warum das so lange gedauert hat und was meine Papiere in der Zwischenzeit noch alles von der Welt gesehen haben, weiß ich leider auch nicht. So, zwei weitere Arbeitstage später ist mein Reisepass also bei der Umzugsfirma, die mir auch gleich ganz düpiert eine Mail schreibt: sie können jetzt mit den Papieren auch nichts mehr anfangen, denn das Visum und die Aufenthaltsgenehmigung sind ja schließlich abgelaufen…
Also schickt man mir meinen Reisepass wieder zurück und behält die Kisten vor Ort. Man verspricht mir aber, sich um eine Lösung zu bemühen. Nach ein paar weiteren Tagen werde ich informiert, dass man nun eine Lösung gefunden hat. Es wird etwas undeutlich von einer inoffiziellen Zollgebühr schwadroniert und natürlich muss dieses Geld erst von meinem Arbeitgeber genehmigt werden, was weitere Tage in Anspruch nimmt. Am Ende liegt das „Bestechungsgeld“ in der Größenordnung von 100 Dollar und mein Zeug kommt tatsächlich durch den chinesischen Zoll. Zur Strafe hat dieser dann noch JEDEN Karton mit Gewalt aufgerissen und bis ins kleinste Detail untersucht.


