39: Fortschritt, der sich wie Rückschritt anfühlt

39: Fortschritt, der sich wie Rückschritt anfühlt

Mein beobachteter Eindruck ist, dass die Chinesen Neuem sehr zugewandt sind. Ich würde dies z.B. daran festmachen, welche Handys sie verwenden oder das fast alle Fahrräder durch die Elektroroller abgelöst wurden. So verhält es sich auch mit dem Nonplusultra, der letzten Entwicklungsstufe, der Eisenbahntechnik, dem Transrapid.

Ein guter Freund hat in einem anderen Zusammenhang die Phrase: „Haben nicht brauchen“ zu einem geflügelten Satz gemacht und ich persönlich bin der Meinung, dass trifft die Investition in den Transrapid in Shanghai ziemlich genau auf den Kopf. Gerne führe ich auch aus warum ich zu diesem persönlichen Schluss gekommen bin.

Eines noch vorweg, um sich ein fundiertes Urteil zu erlauben, sollte man logischerweise wissen wovon man redet. Sprich, selbstverständlich bin ich mit dem Ding, aus purer Neugier, gefahren und das auch mehr als ein mal.

So nun will ich möglichst nüchtern* darstellen was mir aufgefallen ist:

  1. Das Ding ist eine Rumpelkiste, sondergleichen. Was das Konstrukt während der Fahrt ruckelt, wackelt und für Geräusche von sich gibt hat mich echt überrascht. Schon bei Tempo 300 klingt das Utensil wie eine alte, sehr alte Straßenbahn bei vmax. Jeder normale schienenbasierte Hochgeschwindigkeitszug (sogar der deutsche ICE) macht bei 300 km/h deutlich weniger Lärm und wackelt nicht so sehr wie die angebliche Zukunft der Hochgeschwindig-keitspersonenbeförderung.
  2. Weil die Strecke zwischen den beiden Bahnhöfen (es gibt nur den Start- und den Endbahnhof) so kurz ist, hat das Gefährt Mühe auf seine maximale Reisegeschwindigkeit von 450 km/h zu gelangen und sobald diese erreicht ist, muss der Bremsvorgang eingeleitet werden, damit man im Zielbahnhof zum Stehen kommt und nicht erst zwei Kilometer dahinter.
  3. Völlig aus heiterem Himmel kommt es unterwegs zu einem explosionsartigen KNALL, der seinesgleichen sucht. Beim ersten mal habe ich kurz gedacht, wir haben in der Blechdose die Schallmauer geknackt. Aber Bruchteile von Sekunden später wurde mir klar, dass es „nur“ der entgegenkommende Zug war, welcher für den winzigsten Teil eines Augenblicks im Fenster zu erahnen war.
    Gehen wir mal tatsächlich davon aus, beide Züge begegnen sich mit der jeweiligen Maximalgeschwindigkeit von 450 km/h, ergibt sich eine Differnzgeschwindigkeit von sage und schreibe 900 km/h. Das knallt mal ordentlich. Wenn sich zwei ICE‘s mit vmax begegnen ist der Geschwindigkeitsunterschied ja ,gerade mal‘ 600 km/h und die Physik sagt, dass sich der Energiegehalt der bewegten (Luft-) Massen quadratisch zur Geschwindigkeit verhält. Sprich die 50% höhere Geschwindigkeit wird mit 225% höherem Energieeinsatz erkauft, wobei in der Rechnung der höhere Luftwiderstand und die Ineffizienz des Magnetsystems gegenüber dem Rad/Schiene System noch nicht berücksichtigt sind. (Könnte das ein Grund für den schleppenden Verkaufserfolg sein?)
  4. Vermutlich um Betriebskosten zu sparen fährt der Transrapid nur zu den Stoßzeiten, zwei mal am Tag, gefühlt von 8 bis 9 und von 16 bis 17 Uhr mit der offiziellen Höchstgeschwindigkeit von 450 km/h. Den Rest des Tages fährt er entweder gar nicht (lange Pausenzeiten zwischen den Abfahrten) und wenn doch dann nur mit maximal       300 km/h. Super, so ist es mir also passiert, dass ich 10 min am Gleis stand und auf die nächste Schleichfahrt warten durfte, aber die Vorfreude war riesig…
  5. Weil ich gerade dabei bin, darf ich freilich nicht vergessen zu erwähnen, dass der Transrapid, anders als man es vielleicht erwarten würde nicht in die Innenstadt oder zum Hauptbahnhof fährt, sondern von Pudong zur Longyang Rd Metrostation. Hier kann man dann entweder in die Metrolinie 2, 7 oder ein Taxi umsteigen. Mit der Metrolinie 2 muss man dann nur noch 7 Stationen bzw. 20 min einplanen um am People‘s Square, sozusagen in der Innenstadt auszusteigen. Vermutlich haben selbst die rabiaten, chinesischen Verkehrsplaner es nicht geschafft die Trasse noch weiter ins Stadtzentrum zu verlegen, ohne den Protest über gebühr zu Strapazieren, und das will schon was heißen.
  6. Alternativ zum Eilexpress besteht noch die Möglichkeit einfach vom Flughafen aus direkt mit der Metrolinie 2 geradewegs ins Stadtzentrum zu gondeln. Das hat mehrere Vorteile: Ich spare mir unter Umständen die Warterei auf den Maglev, ich muss auch mein Fluggepäck nur in einen Zug wuchten. Weiterhin ist die Chance sehr hoch am Flughafen einen Sitzplatz in der Linie zwei zu bekommen, schließlich ist es die Endhaltestelle, während ich beim Zusteigen von der Magnetschwebebahn in die Metr0 viel Glück brauche überhaupt noch in den rappelvollen Nahverkehrszug zusteigen zu können (insbesondere im Berufsverkehr). Schließlich ist diese Linie die am intensivsten Genutzte Verbindung und nicht selten kommt es vor, dass man ein oder zwei Züge abwarten muss bevor man mitkommt.
  7. Alles im Leben hat seien Preis, so auch die Fahrt mit dem Hochgeschwindigkeitszug. 50 Yuan plus 4 Yuan um von der Pampa (Longyang Rd) mit der Metro in die Innenstadt zu kommen. Oneway versteht sich. Oder 7 Yuan um mit der Metro, ohne umzusteigen vom Flughafen Pudong bis zum People‘s Square zu fahren.
  8. Für all die Nachteile gibt‘s zum Ausgleich noch einen Vorteil: man findet im Transrapid immer einen Sitzplatz, da der Zug all die Male die ich mitgefahren bin, de facto leer durch die Landschaft gerauscht ist.
  9. Trotz all der Nachteile kann ich jedem Touristen empfehlen einfach mal mitzufahren. Eine Erfahrung für‘s Leben ist es in jedem Fall.

 

* ich hab es versucht, aber es geht nicht.