17: Des Chinesen liebste Freizeitbeschäftigung
In China sind Gruppenveranstaltungen und Gruppenausflüge nicht unüblich. In diesem Fall organisierte die Nachbarabteilung einen Ausflug nach Kunshan zum Krabben Essen und ungezwungenen Zusammensein, als Jahresabschluss.
Warum genau ist mir nicht ganz klar, auf jeden Fall wurde ich auch eingeladen. Abfahrt Freitag 14 Uhr. Für mich bedeutete dies, dass ich mich ab 12 Uhr den Zugriffsmöglichkeiten meines deutschen Chef‘s entziehen musste, damit der Ausflug nicht hoch wichtigen, dringenden und spontanen Aufgaben zum Opfer fiel… Am Montag morgen erzählte mir jemand, dass ich am Freitag Nachmittag von Herrn R. gesucht und schmerzlich vermisst wurde. Puh, Schwein gehabt – alles richtig gemacht.
Also ab nach Kunshan. Abends wurde geschlemmt und als Höhepunkt wurde eine große Krabbe nach Anleitung gepullt. Dazu stand ungezwungenes Alkoholvernichten an und anschließend ging es zur unangefochtenen Lieblings-beschäftigung der Chinesen über: Karaoke singen.
Karaoke läuft hier deutlich anders ab, als ich es mir vorher vorgestellt habe. In wirklich jedem Hotel was etwas auf sich hält ist ein Bereich für Karaoke vorhanden, so auch in unserem.
Wobei ich mir vorher einen kleinen Raum oder Verschlag vielleicht auch eine Bar mit Monitor und Mikro vorgestellt habe. Aber nein es handelte sich in diesem Fall um eine ganze großzügig bemessene Etage mit langen aufwendig gestalteten Fluren (der übliche Protz: massig Marmor, verspiegelte Wände, dicke Teppiche, goldene Türklinken und Wasserhähne…) Von diesem Flur gingen links und rechts Zimmer ab. Wobei der Begriff Zimmer deutlich untertrieben ist, Suiten trifft es vielleicht besser.
Jede dieser Räumlichkeiten bestand aus einem Vorraum, mit einer art keiner Küche drin und der Möglichkeit die Jacken aufzuhängen. Weiterhin gab es im Eingangsbereich auch noch einen separaten Nassbereich mit mit Toilette, Waschbecken und Schminkspiegel sowie aufwendiger mannshoher Blumendekoration.
Dem Eingangsbereich folgte der eigentliche „Salon“, drin war eine großzügige Sofalandschaft, mit entsprechendem Couchtisch (mit frischem Obst, Knabbereien und Getränken) einem sehr großem Fehrnseher, deutlich überdimensionierten Lautsprechern und einem Computer zum auswählen der Musik.
Als ich in dem Raum eingetroffen bin, welcher mindestens doppelt so groß wie mein dt. Wohnzimmer war, lief schon sehr laute chinesische Musik. Einige chinesische Kollegen saßen auch schon da und unterhielten sich über Themen denen ich (sprachlich) nicht folgen konnte…
Nach ca. 10 min habe ich dann mitbekommen, dass die Musik die gerade lief nicht, wie ich gedacht habe, vom CD-Player kommt, sondern dass einer der Kollegen gerade life zum Playbackhintergrund ins Mirko singt. Daraufhin war ich erst mal platt und zutiefst beeindruckt. Der Typ hatte meiner Meinung nach den Beruf verfehlt…
Aber was dann kam war für mich einfach unfassbar, die gute Frau Xu, ihreszeichens auf der Arbeit ein junges Mauerblümchen, schmetterte an diesem Abend chinesische Lieder in mit einem Verve und einer Perfektion in den Raum, den ich ihr niemals zugetraut hätte. Auch die anderen Kollegen standen ihr in nichts nach. Es wurden auch reichlich Duette in den verschiedensten Paarungen vorgetragen. Die Chinesen haben sich förmlich um das Mikrofon gerissen um mal singen zu dürfen. Über den Computer würden die nächsten Lieder in eine Playliste eingetragen und war absehbar, dass sie nicht bei den nächsten Stücken zum Zug kommen würden sind die Kollegen weitergezogen in einen der anderen Räume, um vielleicht dort zum Singen zu kommen… Ich glaube unsere Gruppe hat an diesem Abend vier oder fünf dieser Räumlichkeiten belegt.
Selbstredend haben mich die chinesischen Kollegen mit Vehemenz dazu gedrängt doch auch endlich ein Stück zum Besten zu geben, es gäbe ja schließlich auch englische Titel zur Auswahl. Mein ebenfalls anwesender deutscher Kollege aus der Qualitätsabteilung hat gleich kategorisch abgewunken und ich habe auf später, später verwiesen.
Meine Intention mit später, war in erster Linie nicht so viele Zeugen mit meinen ersten Karaokeversuchen zu belästigen, außerdem brauchte ich erst noch deutlich mehr Bier…
Zwei oder drei Stunden später war es dann tatsächlich soweit, im Raum befanden sich nur noch einige wenige Zeugen und auch mein Pegel sprach zu mir: Jetzt oder du lallst beim Singen.
Also ran an die Songauswahlmaschine. Es gab eine schier unglaubliche Auswahl an Liedern und genau 20 englisch Sprachige Songs. Die meisten kannte ich vom Titel her hatte aber keine Ahnung vom Text so zum Beispiel bei Lady Gaga.
Meine Auswahl ist dann auf „I did it my Way“ gefallen. Auf los geht es los, aber was ist das? Wieso fängt der Text auf dem Bildschirm so an, daran kann ich mich gar nicht erinnern und überhaupt die Melodie sollte doch eigentlich auch anders sein… Huch jetzt aber schnell der Text ist schon fast zugelaufen mit dem blauen Balken. Ich stottere mir was ab, ich versuche gerade ein Lied welches ich noch nie vorher gehört habe zu singen, es nimmt groteske Züge von Sprechgesang an…
Der Gesichtsverlust ist perfekt. Irgendein Chinese nimmt mir dann auch sogleich, noch bevor das Lied den ersten Refrain erreicht, das Mikrofon aus der Hand und erlöst mich aus meiner Pein. Sehr freundlich diese Chinesen.
Bei der Recherche zu diesen Eintrag wird mir bewusst, dass das Lied im Original nicht „I did it my Way“ sondern nur „My Way“ heißt. Dies wäre eine, wenn auch schlechte, Erklärung für die Peinlichkeit.


