15: Shanghaier Nächte sind lang und gesellig
In meiner alten Position (das zweitkleinste Rädchen am Wagen) hatte ich ein sehr angenehmes Leben. Die Arbeit hat viel Spaß gemacht, die Kollegen waren sehr kollegial und verlässlich und die Bezahlung war auch stets prima. Wie immer gab es natürlich auch Vor- und Nachteile, einer war zum Beispiel meine zeitweise Arbeitszeit in Form eines Halbtagsjobs von sieben bis sieben.
Hier in China ist vieles anders so z.B. auch die Arbeitszeit. Gestern habe ich zum ersten Mal erfahren, was ein Ganztagsjob im wörtlichen Sinne ist. Mein Arbeitstag beginnt hier in aller Regel zwischen 7:30 und 8 Uhr auf Arbeit. Damit ich da rechtzeitig aufschlage ist es leider notwendig, dass der Wecker um 5:50 Uhr recht unvorteilhaften, störenden Lärm macht. Um viertel vor sieben fahren wir (der französische Kollege nimmt mich dankbarer weise immer mit) mit dem Auto ca. eine Dreiviertelstunde an den „Stadtrand“ von Shanghai. Eine Strecke ist ca. 35 km.
So auch diesen Freitag: dann halt die normalen 12 h (ohne Mittagspause sind es ja auch nur 11 h) „absitzen“, meistens in Besprechungen. Ist aber alles nicht weiter schlimm, da die Zeit hier aufgrund der großen Gleichzeitigkeit dreimal so schnell vergeht, sprich man schaut nach der dritten Besprechung auf die Uhr und meint es müsste so halb zehn sein, aber nein, oh Gott es ist ja schon Mittag und ich habe immer noch nichts geschafft (für die Schwaben: die ARBEIT wurde noch nicht erledigt). Nach dem Mittag geht es dann halt in die zweite Halbzeit plus Verlängerung.
Gestern haben wir unseren „Lieblingslieferanten“ zu einer Besprechung um 18 Uhr eingeladen. Dieser war für seine Verhältnisse bestmöglich vorbereitet. Sie kamen zu fünft und haben sogar ein paar weiße Blätter Papier mitgebracht…. Zur Vorgeschichte muss man sagen, es ist ja nicht so, dass der Lieferant keine Zeit gehabt hätte: 5 Monate sind vergangen ohne sichtbaren Fortschritt. Man hat zwar eine sehr große, fast wüste Beschäftigung registriert, aber das Ergebnis waren deshalb noch lange keine funktionierenden Teile, eher das Gegenteil. Da wir aber innerhalb der nächsten zwei Tage funktionierende Teile brauchten, hieß es für alle Beteiligten ab zu seinem Werk und eine Nachtschicht einlegen. Sehr beeindruckend dieses Lehrstück in Sachen Lieferantenerziehung. (Dort ist auch das beeindruckende Photo, der ach so typischen chinesischen Keramik, entstanden)
Erst am Vortag hat dieser Lieferant von unserer Firma einen Preis bekommen und der General Manager war entsprechend müde. Der große Vorteil an diesem Abend war, dass ich selber eigentlich nicht wirklich arbeiten musste sondern nur mit der großen Sprachpeitsche für die weitere Motivation sorgen durfte. Unglaublich – um kurz nach 6 Uhr hielten wir dann tatsächlich die gewünschten Teile in den Händen. Geht doch! Drei chinesische Mitarbeiter inklusive des General Managers schnarchten derweil an einem unbequemen Tisch schon vor sich hin.
Um 7:45 Uhr lag ich in meinem Bett, die Sonne war schon seit zwei Stunden aufgegangen.


